Курсовая Die literatur im umbruch das spate mittelalter
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УО «Витебский государственный университет им. П.М. Машерова»
Кафедра немецкой филологии
DIE LITERATUR IM UMBRUCH: DAS SPÄTE MITTELALTER
Курсовая работа
студентки 209 группы
филологического факультета
Ивановой Оксаны Сергеевны
Научный руководитель
доцент кафедры немецкой филологии, кандидат педагогических наук
Терещенко Елена Веславовна
Доп. к защите
«__»_____________20___ г.
Руководитель __________________
Работа защищена «__»_________ 20___ г.
с оценкой ______________________
Члены комиссии
Витебск 2010
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung…………….………………………………………………………………..3
Kapitel 1. Die literarische Charakteristik der Epoche und die historischen Umstände, die die Entwicklung der Literatur beeinflussten………………………………………5
Kapitel 2. Die allgemeine Charakteristik und die wichtigsten Vertreter der epischen Literatur……………………………………………………………………………….8
Kapitel 3. Die lyrische Literatur des späten Mittelalters im Überblick……………...11
Kapitel 4. Die Grundzüge der Entwicklung des geistlichen Dramas………………..13
Kapitel 5. Die Schwankliteratur als das Hauptgenre der weltlichen Literatur der Epoche……………………………………………………………………………….16
Kapitel 6. Die wichtigsten Arten der weltlichen Kleinformen der deutschen Literatur des späten Mittelalters……………………………………………………………….19
Kapitel 7. Die mystische Literatur des späten Mittelalters als Ausdruck der übernatürlichen Aberglauben………………………………………………………..21
Schlussfolgerung…………………………………………………………………….23
Literaturverzeichnis………………………………………………………………….25
EINLEITUNG
Die deutsche Literatur entwickelte und vervollkommnete sich mehrere Jahrhunderte lang, und jedes davon beeinflusste sie auf eine bestimmte Weise und verursachte manche ihre Besonderheiten. Mehrere Forschungsarbeiten sind dem Erlernen der Literatur aus unterschiedlichen Epochen der deutschen Geschichte gewidmet, aber es existiert trotzdem eine große Anzahl von Streitfragen. In der Wissenschaft werden vielfach solche Fragen umstritten wie Datierung der Texte und ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Epoche, die Standesbestimmung der Verfasser und die geographische Zuordnung.
Solche Probleme sind auch für die Literatur des späten Mittelalters typisch. Trotzdem dem Erforschen dieses Themas mehrere Bücher gewidmet sind, ist aber dieses Thema verhältnismäßig wenig erforscht. Aber es ist gleichzeitig zu betonen, dass gerade in der Epoche des späten Mittelalters der Grundstein der gegenwärtigen deutschen Literatur gelegt wurde, es entstanden neue Genres, die Thematik und die selbe Beschaffenheit der Literatur wurden verändert, es wurden zahlreiche Werke geschaffen, die später als Muster für Nachahmung wahrgenommen wurden.
Für die Literatur der Periode des späten Mittelalters ist die Vielfältigkeit der Werke sowohl zur weltlichen als auch zur religiösen Thematik typisch. In dieser Zeit schaffen viele Schriftsteller und Dichter, deren Schaffen sehr wertvoll ist und das riesige Interesse auflöst. Wir meinen, dass ihre Tätigkeit die weitere Entwicklung der Literatur stark beeinflusst hat. Wir sind außerdem der Meinung, dass die Periode des späten Mittelalters mit ihrer Literatur eine wichtige Rolle für die moderne Literatur spielt. Gerade die Aktualität der gegebenen Frage hat die Themenwahl der Jahresarbeit bedingt.
Das Thema unserer Jahresarbeit heißt «Die Literatur im Umbruch: Das späte Mittelalter». Das Ziel der Forschung ist, die Geschichte der Bildung und der Überarbeitung, die Struktur, die Rolle und die Stelle der Werke der Periode des späten Mittelalters in der literarischen Welt zu analysieren sowie die hervorragendsten Vertreter der Literatur des späten Mittelalters zu erörtern.
Als die Hauptaufgaben dieser Arbeit kann man folgende nennen:
1. Die Feststellung der Bedingungen für die Entwicklung der deutschen Literatur in der Epoche des späten Mittelalters, die Bestimmung der Faktoren, die ihr Entstehen und Entwicklung beeinflusst haben, und die Analyse der Wechselbeziehung der literarischen Veränderungen zu den sozial-politischen Veränderungen.
2. Die Forschung der Charakteristik der Literatur in der Epoche des späten Mittelalters, ihrer wichtigsten Tendenzen und die Aussonderung ihrer spezifischen Besonderheiten.
3. Die Aussonderung der wichtigsten Genres in der deutschen Literatur des späten Mittelalters, unter denen folgende zu nennen sind: Epik, Lyrik, das geistige Drama, Schwankliteratur, die weltlichen Kleinformen und die mystische Literatur.
4. Die Feststellung der bedeutendsten Vertreter der genannten literarischen Richtungen und die Übersicht ihrer wichtigsten Werke.
In dieser Jahresarbeit handelt es sich um die Bedingungen der Entwicklung und der Entstehung der deutschen Literatur in der Periode des späten Mittelalters in der engen Wechselbeziehung zu den historischen Ereignissen. Hier werden die Hauptrichtungen der Entwicklung der Literatur ausgesondert, die von den Veränderungen in der sozial-politischen Sphäre verursacht sind. So zusammen mit dem Untergang des Rittertums als Vorbild im gesellschaftlichen Leben verliert auch die höfische Dichtung an Bedeutung, und der bürgerlichen Literatur wird umgekehrt eine mächtige Anregung zur Entwicklung gegeben. In manchen Genres (Lyrik, Epos) ist gleichzeitig mit den neuen Tendenzen auch die Nachahmung den ehemaligen Mustern anzumerken, aber es entsteht auch außerdem eine ganze Reihe der neuen Genres in der Literatur, unter denen solche wie Schwanksagungen, die weltlichen Kleinformen zu nennen sind. Sie sind in ihrem Grunde die Muster der bürgerlichen Literatur. Eine wesentliche Rolle spielt auch die theologische Literatur, und zwar das geistige Drama, das in der Periode des späten Mittelalters seinen Höhepunkt erlebt, und die mystische Literatur, die die Verkörperung der menschlichen Aberglauben in die übernatürlichen Kräfte ist. In der Epoche des späten Mittelalters koexistieren auf solche Weise verschiedene und sogar widersprüchliche literarische Genres, und dieser Dualismus ist gerade von historischen Bedingungen verursacht: vom Ausgang des Mittelalters und dem Anfang einer grundsätzlich neuen Epoche des Renaissance, die die diametral entgegengesetzten Prinzipien verkündigt.
So reagiert die deutsche Literatur des späten Mittelalters auf unterschiedliche Veränderungen in der sozialen, politischen und ökonomischen Sphäre des gesellschaftlichen Lebens und trägt also die ganze Veränderlichkeit, Widersprüchlichkeit und Mehrdeutigkeit der Zeit in sich.
KAPITEL 1
DIE LITERARISCHE CHARAKTERISTIK DER EPOCHE UND DIE HISTORISCHEN UMSTÄNDE, DIE DIE ENTWICKLUNG DER LITERATUR BEEINFLUSSTEN
Walthers von der Vogelweide um 1220 wiederholt geäußerte Klage über den Sittenverfall bei Rittertum und Volk, über die allgemeine unsichere Situation im Lande und den sichtbaren Schwund der Staufischen Reichsmacht darf nicht täuschen; sie ist ständige Klage, auch wenn sie im Namen der Menschheit zu sprechen scheint; ihre ideologische Adresse ist das politisch bedeutungslos gewordene staufische Reichsrittertum und nicht die Menschheit des christlichen Weltkreises. So hellsichtig und vielseitig sich diese Standesdichtung oft darbietet, letzten Endes ist sie dem konservativen Lager zuzuordnen, weil ihr – ihre autoritätsbezogene und typologisch eingeengte Spätphase im 13. Jahrhundert weist deutlich darauf hin – ein aufnahmebereiter, aufnahmefähiger Blick für die neuen Realitäten zwangsläufig und aus ihrem eigenen Wesen heraus fehlen muss.
Mit dem Verfall staufischer Macht um die Mitte des 13. Jahrhunderts ging auch der Verfall des Rittertums einher. In Wernhers der Gartenaere „Meier Helmbrecht“ (1250-1280), der ersten deutschen Dorfgeschichte, versuchen die Bauern, es den Rittern gleichzutun. Noch scheitert der Versuch, und die Emporkömmlinge werden hart bestraft. Markant treten aber die Risse in der ritterlich höfischen Gesellschaft hervor.
Die glanzvolle höfische Welt des Hochmittelalters verblasst in der Dichtung spätestens seit den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts. Schon bis Walther künden sich krisenhafte Stimmungen an. Die kaiserliche Zentralgewalt verfällt, die staufische Herrschaft hat unter Friedrich II. ihren Mittelpunkt in Süditalien. Ein selbstbewusstes städtisches Bürgertum gewinnt durch Handel und Geldwirtschaft an Macht; eine explosionsartige Bevölkerungszunahme, die in Deutschland die Bevölkerung von 8 auf 14 Millionen Menschen anwachsen lässt, führt zu einer bisher nicht gekannten Landflucht. Die Städte entwickeln sich zu wirtschaftlichen und kulturellen Zentren, während höfisches Standesdenken mehr und mehr in eine Krise gerät. Der Verfall der alten politischen Ordnung begünstigt gegen Ende des Jahrhunderts eine neue religiöse Bewegung, die mystische Frömmigkeit. Spruchdichtung in der Tradition Walthers entsteht, in der gegenwartsbezogen die Missstände der Zeit kritisiert werden [1; S.40-41].
Der literarisch in Parodien der Ritterepen dokumentierte Niedergang der höfisch-ritterlichen Idealkultur sowie der weitere Aufstieg der Städte führten zu einer Verbürgerlichung der literarischen Erscheinungsformen und Inhalte. Vorherrschend wurde eine didaktisch-gelehrte Dichtung (Hugo von Montfort), von der die Lieder Oswalds von Wolkenstein sich durch Witz und sinnliche Lebensbejahung absetzten.
Die Epik und Lyrik der Staufezeit lebt im 13. Jahrhundert weiter, aber sie tut es in Erfüllung eines einmal gefundenen Musters, mit deutlichem Blick zurück. Die Literaturverhältnisse im deutschen Spätmittelalter sind schwierig zu bestimmen. Selbst umfangreiche Darstellungen dieser Jahrhunderte des literarischen Formenwandels und des gesellschaftlichen Ablösungsprozesses haben immer wieder die nicht zu bewältigende Stoffülle auf der einen und die mangelhafte oder gänzlich fehlende Literaturforschung auf der anderen Seite beklagt. Es gibt ein ganzes Bündel von Gründen für diese Situation, aber nur die wichtigsten können genannt werden.
Die Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts ist noch keine bürgerliche Literatur im neuzeitlichen Wortverständnis. Sie ist aber auch nicht mehr, wie im 11. bis in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts, eine Literatur der geistlichen Dichter oder später eine Kunstform der Ritter und Ministerialen. Zwar kann man an Stadtbürgern wie der Zürcher Patrizierfamilie Manesse beobachten, dass sie die ritterliche Dichtung der Staufezeit zu bewahren und zu erhalten sucht und auf dessen Weiterpflege mäzenatisch einwirkt; es handelt sich dabei aber um die Repräsentationsattitüde einer zu Geld und Ansehen gelangten städtischen Oberschicht, um einen nach rückwärts gewandten Nobilitierungsversuch – keineswegs um einen eigenständigen literarischen Ausdruck des immer mächtiger werdenden Stadtpatriziats. Auch die beiden beliebtesten Figuren der Literatur des 13. bis 15. Jahrhunderts, Bauer und Handwerkgeselle, sind für eine „Verbürgerlichung der Literatur“ von geringer Aussagekraft, weil sie stets im Kontext komischer Dichtung (Schwank, Satire, Fastnachtsspiel) auftreten und selbst dort diametral entgegengesetzte Rollen einnehmen können. Die Summe des Geschriebenen, und auch des Überlieferten, steigt gewaltig an, Zeichen der sozialen Vertiefung des Bildungswesens insgesamt, aber auch des gesteigerten Bedarfs an Literaturzeugnissen aller Art, wobei die Fachliteratur bei weiterem überwiegt. Dennoch herrscht der mittelalterliche Literaturbegriff auch in den neu entstehenden Formen noch vor; er zieht die Reproduktion literarischer Muster, die Bildung typologischer Reihen der originalen Neuschöpfung vor. Die Herstellung einer Handschriftenkopie, die Nachdichtung eines mittellateinischen oder mittelhochdeutschen Stoffes kommt einer Neuauflage gleich; einen Begriff des geistigen Eigentums, der Originalität, oder des Genies kennt auch das Spätmittelalter noch nicht. Die allgemeine Tendenz zur anonymen Kunstproduktion bleibt gewahrt.
Noch im 13. Jahrhundert ist das erste deutschsprachige Schauspiel bezeugt, das Osterspiel von Mur, dem eine Vielzahl geistlicher Spiele, wie das Benediktbeurer Weihnachts- und Osterspiel, und später die Fastnachtsspiele folgten. Ende des 14. Jahrhunderts entstand die erste vollständige Bibelübersetzung, und unter dem Eindruck der Pest bildeten sich neue Formen geistlicher Gebrauchsliteratur heraus, wie Geißlerlied und Totentanz. Ein wachsendes Geschichts- und Rechtsbewusstsein manifestierte sich in Chroniken und den Schriften der weltlichen Schulwissenschaft, so im Sachsenspiegel (um 1224-1231), dem Schwabenspiegel (um 1275-1276) und der Sächsischen Weltchronik (um 1230).
Wichtige Impulse erhielt die Literatur der Epoche durch den Rückgang des Analphabetismus und die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, der eine massenhafte Verbreitung unterschiedlichsten Schrifttums ermöglichte, wie die der populären Schwankdichtungen.
In dieser Zeit entstehen neue zukunftsweisende Eigenschaften der Literatur. Der Prosaroman steht in seinen Anfängen und löst das traditionelle, durch Reimpaare gebundene Versepos allmählich ab. Geistliche und weltliche Dramatik entfalten sich und bilden erste Ansätze einer autonomen Dramaturgie. Weltliche und geistliche Fachliteratur bietet einen breiten Stoff theologischen bis philosophischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Schrifttums und legt damit eindeutiger als die Dichtung den Grundstein zur neuhochdeutschen Schriftsprache. Fürstenhöfe, Städte und Universitäten sind die Zentren dieser neuen Entwicklung.
Die Literatur des Spätmittelalters, dieser Epoche des Umbruchs und der Gegensätze, trägt die Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit der Zeit in sich. Aus der großen Vielfalt der Werke kann man charakteristische Tendenzen herausstellen. Noch während der Blüte der staufischen Klassik erhob sich Kritik an ihrer Vergeistigung und Verfeinerung.
Mit dem Verfall staufischer Macht um die Mitte des 13. Jahrhunderts ging auch ein Verfall des Rittertums einher. Deutlich werden die Züge zum Nützlichen, Realen und Unterhaltsamen, zum Didaktischen und Satirischen. In Heinrich Wittenwilers „Ring“ (1400) spitzen sich die schwankhaften Elemente zu einem satirischen Lehrgedicht zu.
Im späten Mittelalter beginnt die Selbstentdeckung des Menschen. Eine herausragende poetische Leistung stellen die zwischen 1400 und 1445 entstandenen Gedichte Oswalds von Wolkenstein. In lyrischer Selbstdarstellung spiegeln sich ein bewegtes Leben und eine originelle Persönlichkeit, die sich von Tradition und Idealen gleichermaßen emanzipiert.
Das späte Mittelalter bezeichnet man auch als das ausgehende Mittelalter. Aus der Charakteristik des Zeitraums von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zum Beginn des Barock ergibt sich, was damit gemeint ist, warum der Begriff Verwendung findet und welcher Inhalt ihm zugeschrieben wird: Die Dichtung und das Schrifttum im weiteren Sinn, wie sie um die Mitte des 14. Jahrhunderts an die Literatur des späten Mittelalters anschließen und sich bis zum Ausbruch der Reformation entfalten. Die Anwendung des Begriffes lässt sich kultur- und geistesgeschichtlich ebenso wie sprach- und literarhistorisch rechtfertigen.
Das ausgehende Mittelalter soll nicht allein als Niedergang, Verfall oder Epigonentum angesehen werden. Denn wenn auch das höfische Ethos gewandelt und die Form der Dichtungen im Vergleich zu der klassischen Norm weniger korrekt stilisiert erscheint, sondern sorgloser und derber ist, so werden solche Veränderungen aufgewogen durch Stoffreichtum und Horizonterweiterung, Weltfreude, durch neuen Blick auf die Natur und die menschliche Individualität, kurzum durch viele Ansätze zum neuen [2; S.43-47].
KAPITEL 2
DIE ALLGEMEINE CHARAKTERISTIK UND DIE WICHTIGSTEN VERTRETER DER EPISCHEN LITERATUR
In der Prosa wurden der höfische Roman (Rudolf von Ems, Konrad von Würzburg) und die Heldenepik weitergeführt, wichen aber ebenso der Tendenz zum Praktisch-Belehrenden, die auch in einem stetig wachsenden wissenschaftlichen Schrifttum zum Ausdruck kam. Es entsteht eine Epigonenliteratur, die sich noch an den Idealen der höfischen Literatur orientiert; daneben entwickelt sich eine didaktische Prosa mit lehrhaften Inhalten für die Laien zu Fragen der Lebensführung und des Glaubens. Stadtchroniken nehmen ebenso zu wie Niederschriften landesherrlicher Rechtsprechung.
Auf dem Gebiet des großen Epos treten Rudolf von Ems und Konrad von Würzburg hervor. Beide verstehen sich als Nachfahrer der großen klassischen Epiker Hartmann von Aue, Gottfried und Wolfram.
Rudolf von Ems, der vermutlich dem Grafengeschlecht von Hohenems entstammt, dichtet etwa in den Jahren 1230 bis 1250; der bürgerliche Konrad von Würzburg wurde um 1225 geboren und starb im Jahre 1287. Der „Gute Gerhard“ des Ministerialen Rudolf von Ems ist als Preisgedicht auf einen „königlichen Kaufmann“ erst durch den Aufstieg großer Handelsherren denkbar, und trotzdem wird darin auch nicht im mindesten die soziale Hierarchie der Staufezeit bewusst in Frage gestellt. Konrad von Würzburg schrieb, selbst bürgerlicher Herkunft, vorwiegend für großbürgerliche Kreise Basels und für die höhere Geistlichkeit Basels und Straßburgs, und trotzdem wird sein Werk wesentlich von den Themen und Formen höfischer Kultur geprägt, in denen auch seine Leser und Hörer sich selbst zu erkennen suchten.
Rudolf von Ems (um 1200 bis 1250 oder 1254), höfischer Epiker. Er wird zum staufischen Literaturkreis im deutschen Südwesten gezählt. Seine „Weltchronik“ (ab 1250) ist die älteste Geschichtsdarstellung der deutschen Literatur in deutscher Sprache.
In der Werkchronologie folgen auf die legendenhaften Versepen „Der Guote Gerhart“ (um 1215) und „Barlaam und Josaphat“ die höfischen Ritterromane „Alexander“ (um 1240) und „Willehalm von Orlens“ (ca. 1235 bis 1240) sowie schließlich die im Auftrag des Stauferkönigs Konrad IV. ab 1250 verfasste und in mittelhochdeutschen Versen gereimte „Weltchronik“. Sie gehörte zu den meistverbreiteten Werken ihrer Zeit und diente, in Prosa übertragen, als Grundlage vieler Historienbibeln des Spätmittelalters. Überliefert wurde sie in zahlreichen, teilweise prachtvoll illuminierten Handschriften. Die „Weltchronik“ ist höfische Literatur im Dienste des staufischen Legitimationsinteresses; der Stauferkönig erscheint als Nachfolger König Davids und behauptet so die imperiale Vorrangstellung gegenüber den Machtansprüchen von Fürsten, Gegenkönigen und Papst zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Rudolf von Ems starb auf einem Italienfeldzug Konrads IV.
Konrad von Würzburg (um 1225/1230 bis 1287), mittelhochdeutscher Dichter. Er war einer der vielseitigsten mittelhochdeutschen Dichter des 13. Jahrhunderts und gestaltete den Übergang der deutschen Literatur von den Minnesängern zu den Meistersingern mit.
Konrad wurde wahrscheinlich in Würzburg geboren, zog wohl schon in jungen Jahren aus der Stadt fort, in der er geboren war und nach der er benannt bleibt, zunächst nach Straßburg, dann nach Basel. Alle Gesellschaftsschichten waren hier gut zahlende Abnehmer seiner metrisch glatten, inhaltlich eher leeren, aber immer klangvollen Versromane, Versnovellen und Verslegenden. Zwanzig Jahre ungefähr lebte er in Basel, bis er am 31. August 1287 dort starb und in der Magdalenenkapelle des Münsters beigesetzt wurde. Meist im Auftrag von Adel und Geistlichkeit schrieb er kurze epische Gedichte, Legenden, Versnovellen und Romanzen, von denen viele auf älteren lateinischen und französischen Quellen beruhten. Zu seinen zahlreichen Werken gehören die Versnovellen „Herzmäre“, „Heinrich von Kempten“, „Otto mit dem Bart“, „Engeltrut“, „Der Schwanritter“ und „Der Welt Lohn“, weiterhin der im Spätmittelalter sehr beliebte Marienpreis „Die goldene Schmiede“, das Epos „Engelhard“, der Feen- und Ritterroman „Partonopier und Meliur“ sowie das unvollendete Werk „Trojanerkrieg“, ein aus über 40 000 Versen bestehendes historisches Epos [3; S.59].
Als seine älteste Dichtung gilt das „Turnei von Nantheiz“, das ein in Nantes stattgefundenes Turnier zwischen Engländern und Deutschen einerseits und Welschen andererseits beschreibt und reiches heraldisches Wissen bekundet. Das sogenannte Wappengedicht, später nicht von Dichtern, sondern von „Versfabrikanten“ gepflegt, ist damals bereits in Mode gewesen.
Durch tiefernste Lebensauffassung zeichnet sich Konrads Allegorie „Der Welt Lohn“ aus, die den alten Volksglauben an Frauen, die durch ihr Antlitz alles bezaubern, im Rücken aber grässlich anzuschauen sind, auf die Frau Welt überträgt. Der Hinweis auf ihren schlechten Lohn kehrt bei früheren Dichtern oft wieder. Konrads allegorische Durchführung des Gedankens findet sich schon bei Walther.
Nicht geistlich, sondern weltlich ist eine andere Allegorie, „Die Klage der Kunst“, die die Abhängigkeit des Künstlers von der Gunst seiner Gönner behandelt.
Beide Epiker sollen hier nicht als die „größten Epigonen“ des 13. Jahrhunderts, sondern als die bedeutendsten Vermittler zwischen höfischer und einer sich ihrer selbst erst gewiss werdenden Kultur exemplarisch für vieles genannt werden, was sich im 13. Jahrhundert zwischen Höfen und Städten literarisch ereignet. Beide sind Vertreter eines neuen manieristischen Stils; sprachliches Virtuosentum zeichnet ihre Werke aus. Inhaltlich beschwören sie die alten höfischen Ideale. Da jedoch beide spüren, dass diese Tugenden der Zeit diametral entgegenstehen, dringen in ihre Dichtung bewusst oder unbewusst Elemente der neuen Wirklichkeit ein.
Als Höhepunkt der spätmittelalterlichen Erzählprosa gilt der um 1400 verfasste „Ackermann aus Böhmen“ von Johannes von Tepl.
Johannes von Tepl, auch Johannes von Saaz (um 1350 bis 1414) ist der Verfasser der bedeutendsten spätmittelalterlichen Prosadichtung „Der Ackermann aus Böhmen“. In diesem Werk, das gegen 1400 entstandenen ist, handelt es sich um ein Streitgespräch zwischen dem Ackermann und dem Tod, das nach der Art des mittelalterlichen Gerichtsprozesses aufgebaut ist. Der Ackermann bringt dem Tod seine Klage über den Verlust seiner Frau entgegen, um diesen zur Rechenschaft für die Zerstörung einer diesseitigen Lebenserfüllung zu ziehen. Der Tod seinerseits nimmt für sich in Anspruch, Vertreter der Macht Gottes zu sein, und bezichtigt den Ackermann der Auflehnung gegen die bestehende Weltordnung. Das Gespräch erstreckt sich über 32 Kapitel, in denen Ackermann und Tod wechselweise zu Wort kommen. Beendet wird der Streit im 33. Kapitel durch ein Urteil Gottes, das den Gegenspielern Überheblichkeit vorwirft, jedoch beiden auch eine gewisse Rechtfertigung widerfahren lässt. Dem Ackermann billigt das Urteil Ehre zu, dem Tod hingegen den Sieg. Die sonst übliche Verbindung von Ehre und Sieg wird hier also getrennt.
Das Motiv des Zwiegespräches zwischen Witwer und Tod geht auf eine Tradition des Mittelalters und der Antike (vor allem auf Seneca) zurück. In seiner Gestaltung dieses Themas stellt „Der Ackermann aus Böhmen“ jedoch eine originäre Leistung dar. Auf die stilistische Geformtheit des Werkes sowie auf die rhetorische Gestaltung der Argumentation ist in der Forschung vielfach hingewiesen worden. Sprache und Stilistik des „Ackermann aus Böhmen“ gehen jedoch nicht in der traditionellen Rhetorik auf, sondern weisen deutlich über sie hinaus. Bezeichnenderweise führt die Aufbietung der rhetorischen Mittel im Dialog gerade nicht zu einer eindeutigen Entscheidung zugunsten einer der beiden streitenden Parteien. Nicht im Sieg über den Tod liegt die Würde des Menschen, sondern in seiner Endlichkeit bzw. in der Weise, seine Endlichkeit angesichts des Todes sprachlich zu begreifen [4; S.775-776].
KAPITEL 3
DIE LYRISCHE LITERATUR DES SPÄTEN MITTELALTERS IM ÜBERBLICK
Auch in der Lyrik wirken die staufischen Klassiker wie Reinmar oder Walther nach, sie sind nachzuahmende Vorbilder. Aber in dieser Zeit leben und schaffen auch solche Lyriker, die von riesiger Bedeutung für die deutsche Literatur sind.
Ein wahrer Abenteurer unter den Lyrikern ist der aus südtirolischem Adelsgeschlecht stammende Oswald von Wolkenstein. Abenteuerlich ist sein Lebensweg, höchst originell sind seine Werke. Er ist ein querköpfiger, robuster Mensch, der schon Züge des selbstherrischen Renaissance-Menschen trägt. Unruhig wie sein Lebenslauf ist auch seine Lyrik; persönliche Erlebnisse durchsetzen sein Werk. Er gefällt sich in gelehrtem Faktenwissen, spielt gerne mit Worten und Bildern, liebt ironische und parodistische Brechungen, so dass seine Dichtung zu schwierig zu entschlüsseln ist. Oswald sprengt jede Sprachnorm. Seine Sprache ist gejagt, gehetzt, abrupt – je nachdem, welche reale Situation er beschreibt. Er benutzt Imperative, Kurzzeilen und Ausrufe, um eine wirklichkeitsnahe Stimmung wiederzugeben. Er kennt keine Verkünstelung des Ich, sondern stellt sich prall mitten hinein in das Geschehen.
Oswald stammte aus der Südtiroler Adelsfamilie der Vilanders, die sich nach Schloss Wolkenstein im Grödnertal benannte, und wurde vermutlich auf Schloss Schäneck im Pustertal geboren. Bereits mit etwa zehn Jahren trat er in den Dienst eines fahrenden Ritters und begann ein abenteuerliches Wanderleben, das ihn durch weite Teile Europas, vermutlich gar bis in den Vorderen Orient führte. Mit dem Tod seines Vaters im Jahr 1400 und seiner Rückkehr nach Tirol setzte ein langwieriger Erbschaftsstreit ein, der 1421 eine zweijährige Gefangenschaft Oswalds bei seinen Widersachern mit sich brachte. Auch im politisch-militärischen Bereich war der Dichter in zahlreiche Auseinandersetzungen verwickelt. Seit 1415 stand er in den Diensten König Sigismunds und nahm und auch an den Feldzügen gegen die Hussiten in den Jahren 1420 und 1431 teil und geriet von September 1421 bis März 1422 in Gefangenschaft. Danach hatte er wichtige Ämter in Südtirol inne. Oswald starb am 2. August 1445 in Meran.
Das Werk Oswalds ist mit insgesamt rund 130 Liedern und zwei Reimpaarreden gut überliefert. Die Liedersammlung zeichnet sich sowohl in gattungsmäßiger wie in thematischer Hinsicht durch eine außerordentliche Spannweite aus. Sie umfasst Reiselieder, Trink- und Tanzlieder, Tagelieder, sowohl traditionell höfische als auch betont sinnlich-erotische Liebeslieder sowie politische Lieder. Charakteristisch für Oswalds Dichtung mit ihren Themen wie Gefangenschaft, Frauen, Wein, Geldproblemen und Reiseerlebnissen sind vor allem stark subjektiv- autobiographische Züge, aber auch der Hang zur Burleske. Neben weltlichen verfasste Oswald auch einige geistliche Lieder. Von großer Bedeutung sind auch die von ihm selbst komponierten, teils bereits mehrstimmigen Melodien, die zu fast allen Texten erhalten sind.
Er wird heute als der bedeutendste Liederdichter des deutschen Spätmittelalters angesehen. Sein vorwiegend in zwei von ihm selbst veranlassten Handschriften überliefertes Werk umfasst zwei Reimpaarsprüche und130 Lieder mit den Melodien. 40 davon sind mehrstimmig, die übrigen einstimmig. Das Liedwerk Oswalds stellt geradezu eine Enzyklopädie der um 1400 gebräuchlichen Liedtypen dar (geistliches, politisches Lied, Liebeslieder aller Arten, Neidhart-, Trink-, Tanz- und Spruchlieder). Autobiographisches wird breiter thematisiert als bei jedem anderen Autor des deutschen Mittelalters.
Die Dichtung dieses Autors zeigt zuerst noch die strenge mittelalterliche Liedkunst: Melodie, Strophenbau, Sprachgefüge, Motivzusammenhang und Gehalt aneinander gebunden. Doch Oswalds Liebesdichtung ist kein Minnesang hohen Stils mehr, sondern die Geliebte ist eine reale Erscheinung; einzelne Liebeslieder sind Ehelieder; Schlichtes steht neben Überladenem oder spielerisch Zugerichtetem; Persönliches wird freigelegt.
Die frühe Lieddichtung Wolkensteins hat noch keine Lebensfülle der späteren Schöpfungen, zeigt aber bereits einen weiten Reichtum an Motiven: Sehnsucht, Beglückung, Abschiedsschmerz; Tagelieder verteilt auf die Stimmen des Ritters, der Frau und das Wächters in allen Formen und Reimkünsten, Duette zwischen Knecht und Magd, Terzette zwischen Knecht, Magd und Herrin, Zwiegesang von Hirt und Hirtin usw.
Die Lyrik der reifen und späten Mannesjahre Oswalds ist erfüllt mit unmittelbarem Erleben. Eine Anordnung an überlieferte Gattungen ist kaum mehr durchführbar. Die Sprache erscheint bis zu den äußersten Grenzen des Möglichen versinnlicht. Das weitere Liedschaffen spiegelt immer wieder das persönliche Erleben. Die biographischen Erscheinungen veranlassen ehemalige Lieder des ehelichen Glücks, lassen auch die Lieder der religiösen Besinnung, Todessorge, Klagen über körperliche Leiden entstehen. Der Tiroler Oswald von Wolkenstein war in seiner Person und Höhe der Leistung ein genialer Einzelgänger [5; S.282-283]
KAPITEL 4
DIE GRUNDZÜGE DER ENTWICKLUNG DES GEISTLICHEN DRAMAS
Geistliches Drama, auch geistliches Spiel genannt, ist eine Bezeichnung für die religiös-didaktische Literatur im Mittelalter; seine inhaltlichen und formalen Eigenarten resultieren aus der engen Verklammerung mit dem christlichen Heilsdogma.
Das geistliche Drama, die wichtigste Gattung der geistlichen Dichtung, umfasste Osterspiele, Passionsspiele, Marienklagen, Weihnachtsspiele, Leben-Jesu-Spiele, Prophetenspiele, Paradiesspiele, Prozessionsspiele, Legendendramen usw. Im Unterschied zum weltlichen Drama sind seine lateinischen Fassungen bekannt und können mit den neuen volkssprachigen Visionen verglichen werden. Die geistlichen Dramen werden in erster Linie vom städtischen Klerus inszeniert und geleitet, Bürger und Studenten stellen die Akteure. Stets ist das biblische Geschehen zugrundegelegt, aber bei der Ausgestaltung der einzelnen Szenen und Figuren hatten die Bearbeiter freie Hand. Die Tendenz zu einem immer größeren Figuren- und Szenenaufwand zwang zum Schritt aus der Kirche auf den Marktplatz; ineins damit vollzog sich eine gewisse Verweltlichung der Szenen- und Personengestaltung (es treten Krämer und Ritter auf, Teufels- und Rüpelszenen haben zum Gaudium der Zuschauer schon schwankhafte Züge).
Geistliche Dramen waren über den gesamten deutschen Sprachraum verbreitet. Sie waren standortgebunden und erforderten oftmals eine großflächige, mehrere Ebene umfassende Simultanbühne, die von den Darstellern erst nach Ende der Vorstellung verlassen werden durfte; gelegentlich – besonders im Passionsspiel – wurde das geistliche Drama auch in Form eines Umzugs von Szene zu Szene gestaltet. Individualität durften die Schauspieler ihrer Rolle nicht verleihen, sie hatten sich auf eine maskenhafte Repräsentanz zu konzentrieren. Das geistliche Drama des Spätmittelalters ist wichtiger Bestandteil einer neuen, volkstümlichen Frömmigkeitsbewegung, deren Kernstück freilich in der Figur der Mutter Maria als gnadenreicher Helferin der sündigen und durch zahlreiche Gefahren auch beängstigten Menschen besteht; die Gottesmutter wird Gegenstand zahlloser, zunächst mündlich tradierter Marienlegenden; sie findet ebenso Eingang in die Malerei und Bildende Kunst wie in die Kleinepik und die lyrisch-hymnische und dramatische Dichtung. Mit dieser Entwicklung ist ein Anknüpfungspunkt an die zweite und dritte cluniazensische Generation der Legenden- und Mariendichtung gegeben, und es mag dadurch deutlich werden, welch erstaunliche Kontinuität die geistliche Dichtung insgesamt vom 11. bis zum 13. und 14. Jahrhundert zu wahren wusste. Es mag daran ebenso bewusst werden, welch engen sozialen Geltungsbereich die frühhöfische wie die höfisch-ritterliche Dichtung eingenommen hatten; während die geistliche Dichtung auf breitester Ebene zu volkstümlichen Formen gefunden hat, ist die höfische Dichtung stets auf die adelig-geistliche Führungsschicht und, gewiss schon eingeschränkt gültig, auf das Stadtpatriziat beschränkt geblieben.
Während des Zeitraums vom 11. zum 13. Jahrhundert sind die christlichen Grundtöne der Todesgewissheit, der Vergänglichkeit alles Irdischen, der Ungewissheit des Seelenschicksals nach dem Tode gültig und in vollem Umfang durchgehalten worden, ja sie haben doppelbödig in der allegorischen Gestalt der Frau Welt, in deren Darstellung sich Schönheit und Verwesung, Leben und Tod mischen, frühzeitigen Eingang in die höfisch-ritterliche Dichtung gefunden, wo bei Walther von der Vogelweide, Konrad von Würzburg, Frauenlob u.a.m.
Aber diese Tradition trifft nicht mehr auf denjenigen mittelalterlichen Kosmos, dessen Pole zwieträchtig von Papst und Kaiser gebildet werden; die geistige Unsicherheit der Zeit verlangt nach pragmatischeren Orientierungsmustern. Deshalb ist die lehrhafte, moralistische Dichtung, die von Geistlichen wie Laien verfasst wird, für das Spätmittelalter von großer Bedeutung. Es kommt in dieser Dichtung darauf an, den Christen darüber zu belehren, wie er sich in dieser Welt zu verhalten habe, ohne ihr zu verfallen; diese Dichtung appelliert an die Klugheit des Christenmenschen, der seinen Frieden mit Gott und der Welt als christlich-profaner Quadratur des Zirkels machen soll. Sie stellt keine bürgerliche Ständedidaxe dar, sondern geht im Ansatz von einem christlichen Universalismus aus. Im Angesicht des Jüngsten Gerichts und der Zehn Gebote sind König und Bettler, Bürger und Ritter gleich.
Osterspielist die älteste mittelalterliche Dramenform, die für die Ausgestaltung des geistlichen Dramas eine zentrale Rolle spielte. Das Osterspiel thematisiert das österliche Heilsgeschehen. Es entstand aus der Liturgie der Osterfeier. Den Kern bildete der zur österlichen Liturgie gehörende, im 10. Jahrhundert entstandene Wechselgesang zwischen den von Geistlichen dargestellten drei Marien und dem Engel am leeren Grab Christi. Im Lauf der Zeit wurde diese Kernszene durch die Aufnahme weiterer zum Ostergeschehen gehörender Szenen (etwa die Begegnung Christi als Gärtner mit Maria Magdalena, Auferstehung Christi, Wettlauf von Petrus und Johannes zum Grab usw.) ergänzt. Auch wurde die dramatische Handlung in der Folge immer mehr betont, so dass die anschauliche, lebendige Darstellung des Heilsgeschehens ins Zentrum des Interesses rückte.
Aus dem Osterspiel entwickelte sich das Passionsspiel. Auf dieselbe Weise übernahmen die Weihnachtsspiele die Textformeln der liturgischen Weihnachtszeremonie. Die oft mehrtägigen Aufführungen wurden an hohen kirchlichen Feiertagen (neben Ostern und Weihnachten Christi Himmelfahrt, Fronleichnam, Patroziniumsfeste usw.) gemeinsam von Klerus und Laien auf städtischen Plätzen vor einem Massenpublikum dargeboten.
Inhaltlich griffen die Verfasser geistlicher Dramen biblische Stoffe auf (Bibelspiele): bereits die frühen englischen und französischen Mysterienspiele wie auch die ersten Passionsspiele aus dem deutschen Sprachraum stellten die gesamte Heilsgeschichte von der Weltschöpfung bis zur Ankündigung des zu erwartenden Weltendes dar. Spätere Passionsspiele konzentrieren sich auf die Darstellung der Leidensgeschichte Christi; das Jüngste Gericht steht im Zentrum der eschatologischen Spiele und der so genannten Antichristspiele.
Eine weitere Gruppe bilden die Mirakelspiele, dramatisierte Heiligen- und Märtyrerlegenden. Unabhängig vom biblischen Motivbereich argumentierten die lehrhaft-allegorischen Sinnspiele bzw. Moralitäten, in denen Personifikationen menschlicher Tugenden und Laster auftraten [6].
KAPITEL 5
DIE SCHWANKLITERATUR ALS DIE HAUPTGENRE DER WELTLICHEN LITERATUR DER EPOCHE
Mit Schwank und Fastnachtspiel sind weltliche Literaturformen des Spätmittelalters vorzustellen, die unterhaltenden Charakter haben. Schwank wie Fastnachtspiel erfreuten sich großer Beliebtheit, und ein nicht unwesentlicher Grund für die breitgefächerte Aufnahmebereitschaft des Publikums gegenüber dem geistlichen Drama wird darin bestanden haben, dass szenische und figürliche Elemente aus der komischen in die geistliche Dichtung übertragen würden. Während der Schwank auf eine bis in die Antike zurückreichende Tradition verweisen kann, tritt das Fastnachtsspiel erstmals im 15. Jahrhundert in schriftlich fixierter Form auf. Das komische Genre des Schwanks entstammt keiner genuin literarischen Form, sondern einer allgemeinmenschlichen Lust auf Entspannung, Witz, Satire und Ironie. Der Schwank ist mit dem Märchen, der Anekdote, der Fabel, dem Witz, dem Exempel, der Humoreske verwandt. Ihm zuzuordnen sind und auch so weitverbreitete Themen der Zeit wie der „Wettlauf des Hasen mit dem Igel“. Die lateinisch überlieferte Schwankdichtung des Mittelalters wirkt direkt auf die im 14./15. Jahrhundert feststellbaren Formen und Themen ein. Im Rahmen der sich entwickelnden Kleinepik verselbständigt sich der Schwank und wird zu einer eigenständigen Erzählform, die von der Pointe bestimmt ist. Die Schwankdichtung des Spätmittelalters wendet sich zunächst an den Adel und das Patriziat, und erst im Laufe des 16. Jahrhunderts kommt der volkstümliche Prosaschwank auf.
Aus der Vielzahl der überlieferten Schwankliteratur sei als Beispiel Heinrich Wittenwilers „Ring“ herausgegriffen. Wie kein anderes Werk seiner Zeit hängt Heinrich Wittenwilers „Ring“ vielfältig im Netz der kleinen Reimpaargedichte und ist unter den verwandten Großformen zugleich ein Fremdkörper.
Der Verfasser stammte wohl aus einer thurgauischen Familie, die in dem Städtchen Lichtensteig im Toggenburg ansässig war. Den „Ring“ verfasste er wohl um oder nach 1400. Das Werk ist – sehr ungewöhnlich für die Zeit – in einer alemannisch-bairischen Mischsprache abgefasst, was auf einen auswärtigen Auftraggeber oder ein intendiertes überregionales Publikum schließen lässt.
Der Prolog gliedert das Werk thematisch in drei Teile: der erste soll Turnieren und höfisch um eine Frau Werben lehren. Der zweite soll darin unterweisen, wie man sich innerlich, äußerlich und gegenüber der Welt richtig verhält, der dritte, wie man in Not- und Kriegszeiten am besten fährt. Zum Zwecke solcher Unterweisung nutzt Wittenwiler gezielt das Potential der verschiedensten Redetypen: Minnereden(Werbungslehre, Briefe, Allegorie), Stände-Tugendreden (Ehedebatten, Schülerlehre, Überweisung über die vier Kardinaltugenden), geistliche Reden (Glaubenslehre, Memento mori), pragmatische Reden (Turnierlehre, Rezept zur Vortäuschung der Jungfräulichkeit, Haushaltung und Hausrat, Gesundheitslehre, Kriegführung). Neben solchen Redepassagen verwendet er aber auch Teile der Handlung selbst, so zum Beispiel die Fress- und Sauforgie der Hochzeitsfeier, in der er präzise eine negative Tischzucht verschlüsselt. Ferner montiert er literarische Versatzstücke (negative weibliche und positive männliche Schönheitsbeschreibung, Tanzlieder, Gesellschaftslied, Tagelied) und Gebrauchstexte ein (Vaterunser, Ave-Maria, Beichtformel in Prosa). Die Erzählung übertrifft immer wieder alles, was wir an parodistischen und komischen Reden oder Schwänken der Zeit kennen. Diese brisante Mischung aus schwarzem Humor und Obszönität in einem Extrem und hohem Ernst und ethischem Anspruch im anderen hat in der Forschung viele Fragen und Kontroversen hervorgerufen. Wittenwiler selbst war sich der Verwirrung, die das Werk stiften mochte, bewusst und gibt dem Leser gewisse Verständnishilfen.
Er betont gleichfalls, dass man hier keine Ständesatire auf die Bauern beabsichtigt. Es ist auf einen gehobenen standbürgerlichen Horizont ausgerichtet.
Es ist weder zu hoffen, noch zu befürchten, dass man sich auf die Gattungszugehörigkeit des „Rings“ oder den Standpunkt und die Perspektive seines Autors bald wird einigen können. Das Werk ist ein Schwankroman, der in einer Massenschlacht endet, eine Enzyklopädie menschlichen Verhaltens, die von Narren ausagiert wird. Nach Lehrinhalten ist der „Ring“ breiter gestreut als andere didaktische Großformen der Zeit. In Analogie zu zeitgenössischen Sammelhandschriften könnte man ihn auch als „Handbuch“ bezeichnen, freilich eines, das in eine verkehrte Welt verpackt ist.
Mit seinen drei Handlungsschritten ist der „Ring“ der Belehrung über die ritterlichen und die musischen Künste (Minneparodie als Motiv der Brautwerbung), der Entwicklung einer Tugendlehre, eines Schülerspiegels, einer Christenlehre, einer Haushaltungslehre und einer Gesundheitslehre (als den parodistischen Gegenständen der „Gelehrtendisputation“ vor der Hochzeit), einer ins Farcenhafte übertriebenen Tischzucht während des Hochzeitsmahls und einer Belehrung über das Kriegs- und Belagerungswesen während der abschließenden Kampfhandlungen gewidmet.
Wittenwiler hat diese didaktische Absicht im Umfeld der dörflich-bäuerlichen Lebensweise angesiedelt, aber er kritisiert damit keineswegs den vierten Stand; seine „Bauern“ sind ins Komische übertriebene Stadtbürger, unter denen er wohl auch sein Publikum gesucht hat, weil sie einzig in der Lage waren, die Summe seiner Anspielungen auf den zeitgenössischen Bildungshorizont zu verstehen. „Das Werk enthält die Synthese der Möglichkeiten spätmittelalterlicher Dichtung. Wir haben damit ein Epos vor uns von inneren Dimensionen, wie es die Zeit schon lange nicht mehr aufzuweisen hatte. Weltbild und Wirklichkeitsauffassung des Dichters ermöglichen seinem eminenten Gestaltungsvermögen die enge Verbindung von kräftigem Naturalismus und willkürlich-grotesker Phantastik, Übersteigerung und Verzerrung“ (H. Rupprich).
Großer Beliebtheit erfreuten sich Schwänke, deren Hauptfigur Till Eulenspiegel war. Er war ein Bauernschelm, der Anfang des 14. Jahrhunderts in Deutschland gelebt haben soll. In den zahlreichen Volksbüchern und Legenden wurde Till Eulenspiegel zum Prototyp des bauernschlauen Pfiffikus, der einfaches Volk und Standespersonen durch List und Wortwitz hinters Licht führt und des Öfteren auch in bescheidenem Maße schädigt.
Berühmt ist die Episode, in der er als Bäckergehilfe einen ärgerlichen Ausspruch seines Brotherrn wörtlich nimmt und „Eulen und Meerkatzen” backt. Ansonsten wurden meist Respektspersonen, wie etwa kirchliche Würdenträger und Adelige, übertölpelt. Eulenspiegel reflektiert dabei auch satirisch-ironisch die herrschenden gesellschaftlichen Konventionen [2; S.124-127].
Michail Bachtin, wichtigster Theoretiker dieser spätmittelalterlichen Lachkultur, schreibt: „Das mittelalterliche Lachen ist kein subjektiv-individuelles und kein biologisches Empfinden der Unaufhörlichkeit des Lebens – es ist ein soziales, ein das ganze Volk umfassendes Empfinden. Der Mensch empfindet die Unaufhörlichkeit des Lebens auf dem öffentlichen Festplatz, in der Karnevalsmenge, indem er sich mit fremden Leibern jeden Alters und jeder sozialen Stellung berührt. Er fühlt sich als Glied des ewig wachsenden und sich erneuerndes Volkes. Deshalb schließt das festtägliche Lachen des Volkes nicht nur das Moment des Sieges über die Furcht vor den Schrecken des Jenseits, vor dem Geheiligten, vor dem Tod in sich ein, sondern auch das Moment des Sieges über jede Gewalt, über die irdischen Herrscher, über die Mächtigen der Erde, über alles was knechtet und begrenzt. Indem das mittelalterliche Lachen die Angst vor dem Geheimnis, vor der Welt und vor der Macht besiegte, deckte es furchtlos die Wahrheit über Welt und Macht auf. Es stellte sich der Lüge und der Beweihräucherung, der Schmeichelei und der Heuchelei entgegen. Die Wahrheit des Lachens „senkte“ die Macht, paarte sich mit Fluchen und Schelte. Träger dieser Wahrheit war neben anderen auch der mittelalterliche Narr.“
KAPITEL 6
DIE WICHTIGSTEN ARTEN DER WELTLICHEN KLEINFORMEN DER DEUTSCHEN LITERATUR DES SPÄTEN MITTELALTERS
Für gewöhnlich wird die italienische Renaissance als die Geburtsstunde der Novelle angesehen. Tatsächlich ohne die Leistung der italienischen Novellendichter, allen voran Boccaccios („Decamerone“ 1348/53), die Geschichte der neuzeitlichen Novelle gar nicht vorstellbar. Mag es zunächst auch so scheinen, als habe Deutschland daran zunächst nur rezeptiven Anteil, weil deutsche Humanisten im wesentlichen nur fremde Vorlagen übersetzen, so lehrt die Vor- und Frühgeschichte der Novelle doch eine andere Sicht, wonach die italienischen Kleinerzählungen gemäß der selbstbewussten Entwicklung der städtischen Kultur, in deren Raum sie entstehen, nach wie vor als andernorts nicht erreichbare Höhepunkte der Gattungsgeschichte gelten müssen, die anderen Literaturen Europas aber keineswegs ohne eigene beachtenswerte Leistungen auf dem Gebiet der Kleinepik sind.
Die deutsche Entwicklung speist sich wie die italienische und andere aus mündlichem Erzählgut und mittelalterlichen Literarisierungen vor allem schwankhafter Natur. Durch Vermittlung französischer Texte hat auch sie Anteil an antiken Vorgaben, schlägt aber, bedingt durch Besonderheiten der außerliterarischer Situation, in Deutschland auch eigene Wege ein, deren gattungstheoretische Einordnung schwierig ist.
Vielfach sind auch kleinepische Texte in Deutschland von standesspezifischen Diskussionen geprägt, bei denen die Dichter aus dem Gesamtinventar kleinepische Formen schöpfen. Daneben kommen einzelne nichthöfische Kleinepen, die von bürgerlichen Autoren stammen, in Form und Inhalt dem späteren Ideal der Novelle schon sehr nahe. Angesichts der „Unsicherheit“ der zeitgenössischer Benennungen für die sowohl in Versform wie in Prosa auftretenden Erzählungen ist es gelegentlich sogar irreführend, wenn einzelne Benennungen hochstilisiert werden. Irreführend insofern, als der lebendige Umgang mit seht verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten, wie er die Produktion der Dichter, aber auch das Verständnis vom Sammlern bestimmt, zugunsten einer statischen Katalogisierung geleugnet wird.
Ein summarischer Überblick kann ohnehin nur festhalten, dass die spätmittelalterliche deutsche Kleinepik den literarischen Bezirk darstellt, in dem sie die größtmögliche thematische Vielfalt ereignet. Damit ist sie auch der fruchtbarste Boden für die Weiterentwicklung der volkssprachlichen Literatur von einer Veranstaltung für wenige zum Medium für viele.
Im deutschen Mittelalter berühren sich Fabel, Bispel und Exempel vielfach. Die Fabel kennzeichnen knappe fiktive Vorgänge, die meist von Tieren – gelegentlich von Pflanzen oder unbelebten Objekten – ausagiert werden, als Spiegel menschlichen Verhaltens gedacht sind und von prägnanten Lehren oder Erfahrungssätzen beschlossen werden. Charakteristisch ist für das Bispel seine Gliederung in einen ersten, gedrängt erzählenden oder beschreibenden und einen (diesen oft Punkt für Punkt) auslegenden zweiten Teil, der ebenfalls in lehrhaften Maximen endet. Als Exempel kann schließlich jede aufs knappste reduzierte Erzählung, Schilderung oder Beschreibung dienen, an der sich eine allgemeine Lehre demonstrieren lässt.
Abgrenzungen zwischen den drei Typen können schon deshalb nie ganz reinlich sein, weil der Erzählteil vieler Tierbispel aus altem Fabelgut stammt. Für die Bispelautoren stellen die Fabeln nur einen, wenn auch recht beliebten, Bereich dar, aus dem sie sich Anregung oder Stoff für den Erzählteil holten. Darüber hinaus schöpften sie aus einem noch reicheren Reservoir, das aus exempelartigen Formen, allerlei Denkwürdigkeiten, Anekdoten usw. bestanden haben muss. Quellen sind hier nur in de seltensten Fällen dingfest zu machen.
Gestützt auf die verschiedensten Indizien, hat die Forschung zwar eine ganze Reihe von Fabeln, Bispel und Exempeln bestimmter Autoren mehr oder minder sicher zuweisen können, aber verglichen etwa mit Mären oder Minnereden, ist Verfassernennung in diesen Genres noch viel seltener. Anonymität scheint ähnlich zu den Gattungsregeln zu gehören wie in der Heldenepik oder im Minnesang, vielleicht weil sich der einzelne auch hier eher als Sachwalter einer Tradition versteht, selbst wenn diese die Volkssprache übergreift [7; S.57-59].
Innerhalb der Kleinepik wie innerhalb der Reimpaargedichte nimmt die Fabel eine Sonderstellung ein. Diese ist nicht aus der Überlieferung ablesbar. Sie beruht vielmehr darauf, dass die Fabel durch die Jahrhunderte hindurch kaum feste Gattungskonventionen innerhalb der jeweiligen volkssprachigen Literatur entwickelt. Hingegen regeneriert sie sich ständig aus einem weitverzweigten lateinischen Traditionsnetz. Auf der literarischen Ebene bleibt die deutsche Fabel im Mittelalter keineswegs aufs kleine Reimpaargedicht beschränkt, obwohl dies im 13. und 14. Jahrhundert ihre dominierende Form ist. Immer wieder bedienen sich der Fabel ferner die Sangspruchdichter, zum Beispiel Herger, Reinmar von Zweter, Konrad von Würzburg, der Marner und Frauenlob, die sie jedoch – ähnlich wie Freidank in seiner Kurzgnomik – oft bis zur knappen Anspielung verkürzen.
KAPITEL 7
DIE MYSTISCHE LITERATUR DES SPÄTEN MITTELALTERS ALS AUSDRUCK DER ÜBERNATÜRLICHEN ABERGLAUBEN
Im 14. Jahrhundert erlebt die geistliche Literatur, vor allem in Predigt, Legende und Vision, noch einmal einen Höhepunkt. Sie wird angeregt von der Mystik.
Am Beginn mystischer Literatur, die schon wesentlich früher einsetzt, steht „Das fließende Licht der Gottheit“ der Mechthild von Magdeburg (um 1210 bis 1282 oder 1297). Die aus sächsischem Adelgeschlecht stammende Mechthild trat nach Erleuchtungserlebnissen in ihrer Jugend als Begine (Laienangehörige) in das Kloster Sankt Agnes bei Magdeburg ein; seit 1270 lebte sie als Nonne in dem Zisterzienserinnenkloster in Helfta bei Eisleben. In ihrem siebenbändigen Werk „Das fließende Licht der Gottheit“ offenbart sie in der Form des höfisch-weltlichen Minnesangs und ausdrucksvoller, teilweise ekstatischer Sprache Erfahrungen der Gottessehnsucht, Visionen ihrer Seelenbrautschaft mit Christus und der kosmischen Schöpfungs- und Endzeitgeschichte. Visionen, Offenbarungen, Prophezeiungen sind hier verbunden durch die Verherrlichung der Hochzeit zwischen Seele und Christus. Die sieben Bücher „Das fließende Licht der Gottheit“, deren Original verschollen ist, entstanden zwischen 1250 und 1282 in niederdeutscher Sprache. Der Text, ein herausragendes Zeugnis mystischer Weltdeutung, ist in mittelhochdeutscher Übertragung erhalten [6].
Die große Leistung, welche die Lyriker vor allem um Meister Eckhart für die Literatur erbringen, liegt auf sprachschöpferischem Gebiet. Ausgehend von theologischen Begriffen, die schon die Scholastik aus dem Lateinischen übersetzt hatte, schaffe sie eine Begriffssprache, die sowohl abstrakt als auch gefühlstief ist. Geschaffen bzw. eingebürgert werden dadurch Wörter wie: Anschauung, Bildung, Einfluss, Eigenschaft, Gleichheit, Gottheit, Läuterung, Persönlichkeit, Wesen, Zufall – begreifen, einleuchten, fühlen – eigentlich, gelassen, innig [1; S.55].
Die bedeutendste Persönlichkeit, deren Tätigkeit für diese Gattung der Literatur prägend war, ist Meister Eckhart (um 1260 bis ca. 1328), deutscher Mystiker und christlicher Theologe. Er stammte aus einem Hochheimer Rittergeschlecht und trat im Alter von 15 Jahren in den Dominikanerorden ein. 1302 schloss er die Sorbonne mit dem Titel eines Magisters der Theologie ab. Anschließend leitete er ein Kloster in Erfurt und wirkte als Vizegeneral der Dominikaner in Böhmen. Ab 1311 hatte er einen Lehrstuhl für Theologie in Paris inne. Zwischen 1314 und 1322 unterrichtete und predigte er zunächst in Straßburg und später in Köln.
Die von Eckhart erhaltenen Predigten und Traktate gehen zum größten Teil nicht auf ihn selbst zurück, sondern stammen von Freunden oder Gegnern. Nur die „Pariser Quästionen“ (ca. 1300) und das „Buch der göttlichen Tröstung“ (ca. 1308) sowie eine Reihe von Predigten wurden eindeutig Meister Eckhart zugeschrieben. Um zur Einheit mit Gott zu gelangen, durchläuft die Seele nach Eckhart einen vierstufigen Prozess: Sie erfährt zunächst ihre eigene Nichtigkeit, die sie mit allen Dingen und Kreaturen außerhalb Gottes verbindet, dann entdeckt sie ihre Ähnlichkeit mit Gott, der von ihr ungeschieden ist. Diese Erkenntnis führt zur Verschmelzung und Wesenseinheit mit Gott und schließlich zur Erfahrung des göttlichen Seins.
Eckharts Theologie verband die Lehren seines prominenten Ordensbruders, Thomas von Aquin, mit neuplatonischen Gedanken. Seine Lehre von der Seelengemeinschaft mit Gott führte dazu, dass der Vorwurf des Pantheismus, der als Häresie galt, gegen ihn erhoben wurde. Als Papst Johannes XXII. ihn 1327 aufforderte, sich gegen die Anschuldigung zu verteidigen, verfasste Eckhart eine Rechtfertigungsschrift in 28 Sätzen, die 1329 durch eine päpstliche Bulle verurteilt wurde.
Da Meister Eckhart seine Schriften nicht nur auf Lateinisch, sondern auch auf Deutsch verfasste, hatten seine Lehren großen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Sprache. Seine Gedanken, die Ähnlichkeiten mit dem Zen-Buddhismus aufweisen, wirkten insbesondere auf Nikolaus von Kues sowie auf den Protestantismus und den deutschen Idealismus [6].
SCHLUSSFOLGERUNG
Die deutsche Literatur des späten Mittelalters wurde von einer Reihe sowohl literarischer als auch historischer Erscheinungen beeinflusst, und nämlich vom Verfall der höfisch-ritterlichen Idealkultur, vom Verlust der Rittertum seiner führenden Rolle im kulturellen und politischen Leben, von der immer wieder wachsenden Rolle des Bürgertums. Der literarisch notierte Niedergang der höfischen Idealkultur sowie der weitere Aufstieg der Städte führten zu einer Verbürgerlichung der literarischen Erscheinungsformen und Inhalte. Die Literatur des späten Mittelalters ist also eine eigenartige Reaktion auf unterschiedliche Veränderungen und Neugestaltungen, und im Zusammenhang mit dem bürgerlichen Charakter der Literatur entstehen neue Genres, und die früheren Genres erwerben andere Eigenschaften.
Für die Epik ist die Fortsetzung der Traditionen in der gegebenen Richtung (Erhalten der vorigen Genres, des Hofromanes und der Heldenepik, Orientierung auf die Ideale der Hofliteratur) charakteristisch, aber gleichzeitig damit werden schon didaktische und belehrende Elemente eingeführt. Die wichtigsten Vertreter dieses Genres sind Rudolf von Ems und Konrad von Würzburg.
In der Lyrik ist die Nachahmung den ehemaligen Mustern (Reinmar, Walter) zu bemerken, aber dabei entstehen auch völlig eigenartige lyrische Werke. Der hervorragendste Vertreter des gegebenen Genres ist Oswald von Wolkenstein, der seinen höchst originellen und einzigartigen Stil geschaffen hat. Die Thematik seiner Werke ist sehr unterschiedlich: er schuf sowohl traditionelle höfische und sinnliche Liebeslieder als auch politische Gedichte. Oswald von Wolkenstein ist ein genialer Dichter, der das inhaltsvolle Leben verlebte und mehr als 130 Werke geschaffen hat.
Es entstehen auch solche grundsätzlich neue Genres der Literatur wie Schwankliteratur und die weltlichen Kleinformen. Ihr Entstehen ist vom ungestümen Anstieg der Rolle der städtischen Bevölkerung verursacht. Sie entsprechen den Forderungen der neuen bürgerlichen Literatur: Abwesenheit von didaktischen Elementen, Unterhaltsamkeit, der satirische Charakter, der sich oft in den Sarkasmus und das Auslachen bestimmter Erscheinungen im gesellschaftlichen Leben verwandelt. So haben die Schwanksagungen den Unterhaltungscharakter, haben aber in der Regel keine lehrreichen Elemente und entstehen nur als Erscheinungsform irgendwelcher ironischen Ideen und Aussichte. Nach den italienischen Mustern entstehen auch in der deutschen Literatur die weltlichen Kleinformen. Sie entstehen in der Regel auf dem Grund der Schwankliteratur und der Volksmotive und thematisieren gewöhnlich Hauptprobleme des Bürgertums.
In der Epoche des späten Mittelalters sind auch solche Genres wie die mystische Literatur und das geistige Drama populär. Die mystische Literatur ist in ihrem Grunde die Verkörperung der menschlichen Glauben an die übernatürlichen Kräfte. In den Traktaten und den Predigten, die die Abarten der mystischen Literatur sind, werden gewöhnlich die theologischen Aussichte zum Ausdruck gebracht. Das geistige Drama ist mit den religiösen Vorstellungen der Menschen eng verbunden und ist die Verkörperung der kirchlichen Dogmen. Das geistliche Drama, das mehrere Abarten hat, wurde für die Aufführung auf der Bühne geschrieben.
In der Epoche des späten Mittelalters koexistieren also die Genres, die den Inhalten, der Thematik und der Ausrichtung nach ganz gegensätzlich sind. Solche Mehrdeutigkeit ist von der Veränderlichkeit des sozial-politischen Lebens verursacht, weil zu dieser Zeit die höfisch-ritterliche Idealkultur ihr Ende findet und sich eine neue Kultur bildet, deren Zentrum das Bürgertum wird. Gerade deshalb ereignen sich die Veränderungen in der Literatur, die dualistische, mehrdeutige Züge erwerben
LITERATURVERZEICHNIS
1. Beutin, W. Deutsche Literaturgeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart / W. Beutin, K. Ehlert, W. Emmerich [und andere]. – 5., überarb. Aufl. – Stuttgart; Weimar: J.B. Metzler Verlag,1994. – S. 627
2. Geschichte der deutschen Literatur: in 7 Bänden / H. Rupprich. – 2. Aufl. – München: C.H. Beck´sche Verlagsbuchhandlung, 1970. – Band 4, Teil 1: Vom späten Mittelalter bis zum Barock / H. Heger. – 1994. – S.927
3. Meid, V. Metzler-Literatur-Chronik: Werke deutschsprachiger Autoren / V. Meid. – Stuttgart; Weimar: J.B. Metzler Verlag, 1993. – S. 724
4. Lutz, B. Metzler-Autoren-Lexikon: deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart / B. Lutz. – 2., überarb. und erw. Aufl. – Stuttgart; Weimar: J.B. Metzler Verlag,1994. – S.593
5. Illustrierte Geschichte der deutschen Literatur: in sechs Bänden / A. Salzer, E. von Tunk. – Köln: Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft, 1998. – Band 1: Von den Anfängen bis zum 16. Jahrhundert / A. Salzer, E. von Tunk. – Neubearb. und Aktualisier. C. Heinrich, J. Münster-Holzlar. – 1998. – S. 463
6. Microsoft Encarta Enzyklopädie [elektronische Ressource] / Microsoft Corporation. – 1993-1999. – Zutrittregime: http://www.microsoft.com/encarta/de/. – Zutrittsdatum: 22.01.2010.
7. Geschichte der deutschen Literatur: in 7 Bänden / I. Glier. – München: C.H. Beck´sche Verlagsbuchhandlung, 1970. – Band 3, Teil 2: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250-1370 / I. Glier. – 1987. – S. 927